New Work, Feel Good Manager, Fachkräftemangel… alles dreht sich bei Unternehmen um die Mitarbeiter, wenn nicht gerade um die Kunden. So könnte der Eindruck entstehen, dass Unternehmen Menschen im Inneren bräuchten, dass sie aus Menschen bestehen würden.
Das halte ich jedoch für eine romantische Vorstellung — eine verständliche, nichtsdestotrotz eine irreale. Wer ihr anhängt, wird immer wieder frustriert werden und sich unverständig die Augen reiben.
Meine Vorstellung von Unternehmen ist die einer stehenden Welle: die ist stabil über die Zeit, wird jedoch in jedem Moment von anderen Wassermolekülen konstituiert. Die stehende Welle ist äußerlich bzw. aus der Ferne betrachtet konkret und stetig in der Form und kann z.B. zum Surfen genutzt werden. Aus der Nähe betrachtet hingegen ist sie in ständiger Bewegung; alles in ihr ist im Fluss und wird ausgetauscht.
Mit dem folgenden Bild will ich diese Analoge auf Unternehmen übertragen:
Das Unternehmen ist äußerlich und aus der Ferne betrachtet sehr stabil. Über Jahre, gar Jahrzehnte kann es verlässlich Leistungen erbringen. Kunden “surfen” diese konkrete, stetige Form.
Im Innern jedoch ist das Unternehmen in ständiger Bewegung. Der Einfachheit halber zeigt das Bild nur eine davon: den Austausch der Mitarbeiter. Die füllen Rollen für eine gewisse Zeit aus. Diese Rollen dienen der Leistungserbringung. Aber auch nicht isoliert, sondern in ständiger Kommunikation; sie kollaborieren. Insofern sind die Kommunikationsströme das wirklich Entscheidende im Unternehmen.
Die Rollen wandeln sich. Und allemal die Menschen, die die Rollen ausfüllen, wechseln. Wo gestern noch Petra für das Marketing oder den Verkauf oder die Buchhaltung zuständig war, ist es heute Hassan und wird es morgen Alberto sein. Oder die Rolle wird früher oder später durch eine Software, einen Roboter, gar eine KI ausgefüllt.
Unternehmen dürfen sich nicht auf bestimmte Menschen als Konstituenten verlassen; zu groß ist das Risiko, dass die krank werden oder kündigen. Allerdings dürfen sie sich auch nicht auf Menschen im Allgemeinen als “Bausteine” verlassen — jedenfalls nicht prinzipiell, sondern nur temporär. Denn Menschen sind teurer und unzuverlässiger als Technologien.
Dass Unternehmen nicht aus Menschen bestehen, zeigt sich bei jedem “Ballastabwurf”, wenn Menschen entlassen und durch Technologien ersetzt werden. Solange die Technologien in die notwendigen kollaborativen Austauschströme eingebunden werden können, präferieren alle Unternehmen Technologien. Menschen füllen Rollen nur so lange aus, bis Technologien good enough sind, die Rollen zu übernehmen.
Unternehmen dienen zuallererst ihren Eignern. Das tun sie vermittels Leistungen für Kunden. Mitarbeiter sind ihnen kein Zweck, sondern nur Mittel. Bei Behindertenwerkstätten mag das anders sein — doch alle anderen Unternehmen verzichten auf Menschen im Inneren, sobald es möglich ist.
Unternehmen haben Rollen zu besetzen, d.h. interne Funktionen in Beziehung zu anderen zu erfüllen, um ihre Kunden zu befriedigen.
Wie das geschieht, ist Unternehmen einerlei, solange die Qualität der Leistung und der Profit stimmen.
Wer meint, Unternehmen bestünden aus Menschen, lässt sich von der Geschichte täuschen. Bis zur Erfindung der ersten Maschinen konnten Rollen lediglich durch Menschen ausgefüllt werden. Und auch heute noch erbringen Menschen bestimmte Funktionen einfacher, flexibler, kostengünstiger als Technologie. Diese Verhältnisse sind allerdings stets prekär.
Die ersten sechs Monate des Jahres 2023 machen das ganz deutlich: Die KI hat für alle spürbar Fahrt aufgenommen und wird Menschen in mehr und mehr Rollen ersetzen. Unternehmen werden diesen Menschen keine Träne nachweinen.
Menschen jedoch werden ihren Platz in Unternehmen vermissen. Menschen brauchen Unternehmen, nicht umgekehrt.
Insofern ist zu bedenken, ob die prinzipielle Unabhängigkeit der Unternehmen von Menschen tatsächlich überall realisiert werden sollte, wo es möglich wäre. Sollen Unternehmen Menschen lediglich gebrauchen — oder sollen die Verhältnisse umgekehrt werden: auf dass Unternehmen Menschen dienen?
Danke für diese verblüffende Sichtweise! Sie ist ein gutes Denkmodell, um sich gelegentlich etwas in der realen Welt zu erklären.
Aber Modelle darf man nicht überinterpretieren. Das haben die Jünger von Karl Marx oder Sigmund Freud auch getan. Man könnte ja das Bild mit der stehenden Welle noch weiter ausmalen, die halbe Welt erklären und hinterherdenken hinter Stichworten wie "juristische Person", Unternehmen/Unternehmer, Vorstand/Aufsichtsrat/Führungskraft, Loyalität/Treuepflicht/Fürsorgepflicht, Arbeitnehmer/Angestellter/Beamter, usw. Aber der Erkenntnisgewinn nimmt ab und die Gefahr von falschen Schlüssen nimmt zu.