Ich stelle mir New Work ganz anders vor. Nicht mit Tischtennisplatte, Betriebskindergarten, offenen Türen, flachen Hierarchien. Denn all das und mehr ist nur ein Feuerwerk von Goodies, das von Old Work abgebrannt wird, um irgendwie zukunftsfähiger zu werden.
Old Work bleibt Old Work, solange am Kern von Old Work nicht gerüttelt wird: das ist die abhängige Beschäftigung.
Mit oder ohne Rutsche oder Remote Work bleiben abhängig Beschäftige abhängig von dem, der heute dieses Zuckerbrot verteilt und morgen wieder die Peitsche knallen lässt.
Was ist schlecht an der abhängigen Beschäftigung? Der Zielkonflikt. Abhängig Beschäftigte dienen zweien Herren: der Geldquelle ihres Arbeitgebers — das ist der Kunde — und der Geldquelle ihres Gehaltes — das ist das Management ihres Arbeitgebers. Im Zweifelsfall entscheiden abhängig Beschäftigte sich verständlicherweise dafür, ihrer eigenen Geldquelle zu willen zu sein als der des Unternehmens. Sie sind im Zweifelsfall lieber gehorsam gegenüber dem Management, als etwas für den Kunden zu tun.
Old Work weiß von diesem Zielkonflikt. Zur Auflösung bemüht man sich, den Kundenwunsch in etwas zu übersetzen, das vom Management eingefordert und überwacht werden kann. Das funktioniert in kleinen Unternehmen und bei der Fließbandarbeit vielleicht ausreichend gut — wenn es aber um Waren und Dienstleistungen geht, die sich nicht mechanisch herstellen lassen, wird solche Übersetzung zunehmend schwierig. Viel Energie der abhängig Beschäftigten verpufft. Die Effizienz geht in den Keller, d.h. das Verhältnis von vorhandenem Potenzial an Arbeitsleistung, Motivation und Kreativität, das dem Kunden zugute kommen könnte, und der tatsächlich in Richtung Kunde fließenden Energie.
New Work soll diese Effizienz erhöhen. Bonuszahlungen sind ein Mittel aus vergangenen Tagen; sie haben sich nicht als nachhaltig erwiesen. Es wäre ja auch zu schön gewesen, das Problem so einfach zu lösen. Deshalb muss heute irgendetwas mit purpose (Sinn) oder Fürsorge (Feel Good Manager) oder Freizügigkeit (Homeoffice) oder Service (vegane Kantinengerichte, Fitnessstudio) oder Gesellschaftsverantwortung (fair, grün, divers) oder Offenheit (flache Hierarchie, offene Tür) her.
Natürlich wünsche ich jedem, der lieber zuhause arbeitet oder vegan isst und sich für Ökologie einsetzen will, dass er dabei auch durch den Arbeitgeber unterstützt wird. Aus Sicht der Unternehmen jedoch, glaube ich, dass das fehlgeleitete Optimierungen sind, die allenfalls kurzfristige oder zufällige Erfolge zeitigen. Wie mit einem Schrotschuss wird irgendwie auch mal eine bisherige Erfolgshürde getroffen; systematisch ist das jedoch nicht. Denn es geht — wie gesagt — am Geburtsfehler der Unternehmen vorbei: der abhängigen Beschäftigung.
Die mag in der guten Alten Zeit angemessen gewesen sein für das Verhältnis zwischen Unternehmen und Beschäftigten. In einer VUCA/BANI-Welt jedoch wird sie zunehmend unzeitgemäß. Abhängige sind schlicht angstvoll und inflexibel. Von Abhängigen mehr Verantwortungsbewusstsein und Selbstständigkeit zu verlangen, wird immer schwieriger. Innerhalb einer Abhängigkeit ist das irgendwie auch widersinnig. Die Abhängigen werden sich in ihren Entscheidungen immer selbst begrenzen; sie haben eine Schere im Kopf, die Entwicklungswege für das Unternehmen abschneidet, die ihr Verhältnis zum Management, d.h. zu ihren Vorgesetzten, gefährden würden.
Aber was ist die Alternative für Unternehmen? Sollen sie sich auflösen und alle Menschen arbeiten nur noch selbstständig?
Ja, ich denke, es sollten mehr Menschen den Mut finden, sich selbstständig zu machen. Mehr kleine Unternehmen, die bei größeren Projekten kooperieren, scheinen mir ein resilienteres Wirtschaftsgewebe entwickeln zu können.
Doch die echte Selbstständigkeit, gar das Unternehmertum ist nicht für jeden etwas. Deshalb schwebt mir ein anderes Verhältnis zwischen Unternehmen und Beschäftigten vor.
New Work wäre für mich, wenn Unternehmen sich nicht mehr als Herren sähen, denen Angestellte dienen.
New Work wäre für mich, wenn Angestellte sich nicht mehr als Diener sähen, sondern als Kunden des Unternehmens.
Mir schwebt eine Wendung der Angestelltenhaltung um 90° vor: New Work ist, wenn der Angestellte nicht abhängig ist, sondern unabhängig. Unabhängigkeit der Angestellten, d.h. Autonomie und Selbstverantwortlichkeit stehen für mich im Kern von New Work.
Der Unterschied zwischen Old Work und New Work bestünde also nicht in einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Unternehmen sollen fortan nicht Genossenschaften sein, die ihren Angestellten gehören. Nein, Unternehmen gehören weiterhin irgendwem, dessen Interesse selbstverständlich Profit ist. Doch dieser Profit wird nicht mehr durch Extraktion abhängig Beschäftigter erzielt. Extraktion wird durch Empowerment ersetzt. Kontrolle weicht Emergenz.
Die äußere Form bleibt einstweilen dieselbe:
Ein Unternehmen hat Gründer und Eigner.
Ein Unternehmen hat eine Geschäftsführung.
Ein Unternehmen hat Angestellte, d.h. Arbeitskraft und Kompetenz sind im Unternehmen.
Auch bei unabhängiger Beschäftigung werden Löhne gezahlt und Steuern sowie Lohnnebenkosten abgeführt. Diese vom Staat favorisierte Form des Verdienstes unterscheidet New Work nicht von Old Work. Es gibt keinen Grund für eine Revolution dieser grundlegenden Verhältnisse. New Work kann sich (hoffentlich weitgehend) unterhalb des Radars des Staates entwickeln.
Aber was unterscheidet dann New Work von Old Work? Es ist das Verhältnis zwischen Unternehmen und Angestellten, es ist der Arbeitsvertrag.
Der Old Work Arbeitsvertrag definiert eine Abhängigkeit. Der abhängig Beschäftigte ist weisungsgebunden. Er ist aufgehängt in einer Unternehmenshierarchie, die von oben nach unten kontrolliert wird. Oben wird angesagt, unten wird ausgeführt. Der abhängig Beschäftigte ist eine Ressource für das Unternehmen, die es ausschöpft (oder auch ausbeutet). Der Arbeitsvertrag definiert eine Pflicht gegenüber dem Unternehmen; für deren Erfüllung erhält der Angestellte seinen Lohn. Im einfachsten Fall reicht es dafür, die Arbeitszeit am unternehmensinternen Arbeitsplatz zu verbringen und das offensichtlich Geforderte zu tun. Deshalb sehen viele Unternehmen das Homeoffice auch so skeptisch; mit ihm entfällt die Arbeitskontrolle qua Anwesenheitskontrolle.
In meiner Vorstellung von New Work sind die Verhältnisse grundlegend anders. Hier sieht sich das Unternehmen nicht als Herr, sondern als Plattform. Sein Zweck ist die Schaffung von Verhältnissen, die es seinen unabhängig Beschäftigten in Selbstorganisation erlaubt, hochwertige Produkte für eine Zielgruppe herzustellen.
Auch das New Work Unternehmen wird gegründet, um eine Vision durch Erfüllung einer Mission zu verwirklichen. Beispiel: Die Unternehmensgründer Anna und Robert glauben daran, dass die Welt eine bessere wäre, wenn mehr Menschen Kräutertee trinken würden. Dabei möchten sie helfen, indem sie Tee produzieren, dessen Zutaten nicht angebaut werden, sondern aus der Natur stammen, wo sie wild wachsen.
Indem Anna und Robert ihr Unternehmen KrauTee GmbH mit dieser Vision und Mission gründen und auch noch ein paar Werte darunter legen und ein Ziel oben drauf, “gehen Sie in Führung”. Sie sind Unternehmer, sie führen “die Initiative” an, die das Ziel innerhalb von gewissen Rahmenbedingungen erreichen soll. Durch die Gründung gehen sie ein Risiko ein. Es ist legitim, dass sie das mit einem Profit kompensieren wollen.
So weit unterscheidet sich Annas und Roberts Unternehmen noch nicht von einem in der Old-Work-Welt.
Allerdings… wenn man genau hinschaut, sind die Verhältnisse bei Gründung schon die meiner Idee von New Work. So ist es immer, wenn Eigner selbst im Unternehmen mitarbeiten. Anna und Robert sind keine abhängig Beschäftigten, sondern unabhängig Beschäftigte. Sie bekommen ihren Lohn nicht von einem übergeordneten Management für die Erfüllung eines Arbeitsvertrags zugesprochen. Sie verdienen nicht durch Gehorsam, sondern durch Selbstständigkeit, die Kundennutzen generiert, der durch Kauf honoriert wird. Sie bekommen ihr Geld direkt von den Kunden. Damit das funktioniert, koordinieren sie ihre Arbeit selbstständig.
Im Unternehmen teilen sich Anna und Robert vielleicht die Arbeit in folgender Weise:
Anna produziert: Sie sammelt Kräuter, trocknet sie und schnürt verkaufbare Teepäckchen.
Robert verkauft: Er stellt sich mit den Teepäckchen auf den Wochenmarkt und organisiert den Versand, wenn über ebay or Amazon eine Bestellung eingeht.
Weil Anna und Robert gleichzeitig Mitarbeiter und Eigner sind und auch noch als Mitarbeiter sehr nah am Unternehmenskunden sind, stehen sie in keinem Zielkonflikt. Sie dienen nur einem Herren: dem externen Kunden.
Das sind für mich schon New-Work-Verhältnisse. Doch wie können die erhalten bleiben, wenn das Unternehmen wächst? Soll weitere Arbeitskraft nur über Dienstleister hinzugefügt werden? Das wäre ein Weg. Die Verhältnisse im Unternehmen blieben dieselben. In einer ersten Wachstumsphase könnte das die Lösung sein, die vielleicht mehr kostet, aber Flexibilität erhält.
Für mehr Effizienz ist es aber früher oder später sinnvoll, Arbeitskraft ins Unternehmen zu holen. Mit Angestellten werden Transaktionskosten gespart.
Das ist der Moment, da New Work einen anderen Weg einschlägt. Angenommen, die KrauTee GmbH will zwei Kräutersammler und einen Portionierer einstellen. Erstere gehen in die Natur und beschaffen die Rohstoffe, Letzterer mischt und verpackt sie zu verkaufbaren Tüten. Die drei Angestellten sollen Anna von dieser Arbeit entbinden; sie will sich fortan der Produktentwicklung und dem Marketing widmen.
Die Arbeitsteilung sähe mit diesen Angestellten wie folgt aus:
In der Produktion zeigt sich New Work nicht. Das entspricht auch der üblichen Vorstellungen von New Work. Betriebskindergarten, Fitnessstudio, flache Hierarchien oder was auch immer haben nichts mit der Operation, d.h. Produktion und Koordination zu tun. Es sind Maßnahmen um die Operation herum; sie definieren eine Kultur, in der Operation stattfindet.
Und so auch meine Vorstellung von New Work. Die unabhängige Beschäftigung zeigt sich nicht in der Operation, d.h. im obigen value stream. New Work manifestiert sich im Geldfluss! Der Zielkonflikt der abhängigen Beschäftigung soll ja aufgelöst werden.
Wenn die neuen Angestellten nach Old Work beschäftigt würden, sähe der Geldfluss so aus:
Die Abhängigkeit der Beschäftigten ist hier offensichtlich. Der Geldsegen kommt für sie von oben, vom Management, d.h. in diesem Fall den Eignern. Die Eigner erhalten das Geld von den externen Kunden und bestimmen, wie viel davon sie weiterleiten an die abhängig Beschäftigten.
Exemplarisch sieht das so aus: Der Geldfluss ist orthogonal zum Produktfluss.
Für die Eigner hingegen ist es anders:
Das Geld fließt entlang des value stream — nur in umgekehrter Richtung! Der Empfänger des Produktes zahlt dem Produzenten einen Lohn. Das halte ich für das natürliche Verhältnis zwischen Produzent und Konsument. So bekommt der Produzent Feedback, so hat der Produzent unmittelbare Motivation zur Optimierung. Und nicht nur Geld fließt in dieser Weise, auch Anerkennung.
Aber jetzt New Work: Meine Idee ist, durch unabhängige Beschäftigung den Geldfluss für alle Angestellten in solch natürlicher Weise auszurichten! Für New Work schwebt mir eine Drehung des Geldflusses um 90° gegenüber den Old-Work-Verhältnissen vor.
Wer etwas produziert, der bekommt dafür Geld von seinen Kunden — ob die extern sind oder intern, ist unerheblich. Jeder unabhängig Beschäftigte ist insofern einem Selbstständigen gleichgestellt.
Das Bild wirft allerdings zwei Fragen auf: Wofür bekommt Anna Geld und wie verdient das Unternehmen Geld, wenn Robert von den externen Kunden bezahlt wird?
Die Antworten sind:
Anna bekommt ihren Lohn für Informationen. Sie kann allen in der unmittelbaren Produktion etwas liefern, was ihnen ermöglicht, ihre Arbeit besser auf ihre Kunden auszurichten. Dafür sind sie bereit, Geld auszugeben.
Annas Markt liegt im Unternehmen. Der Markt außerhalb ist für sie nur eine Ressource; von ihm bekommt sie kein Geld. Sie produziert nichts, was externe Kunden wertschätzen würden.
Und das Unternehmen bekommt von allen unabhängig Beschäftigten Geld. Hier stehen die Verhältnisse also Kopf! Nicht das New-Work-Unternehmen bezahlt die Angestellten, sondern die Angestellten bezahlen das Unternehmen. Das Geld fließt bei New Work von unten nach oben. Aber wofür? Was leistet das Unternehmen für die unabhängig Beschäftigten, dass sie dafür bezahlen wollen? Es entbindet unabhängig Beschäftige von “Lästigkeiten”. Sie können sich mehr auf ihre fachliche Kompetenz konzentrieren, als wären sie “echte” Selbstständige. Unabhängig Beschäftigte outsourcen gewisse Aufgaben an das Unternehmen bzw. an ihre Peers im Unternehmen.
Die unabhängig Beschäftigten sind sich untereinander Dienstleister. Wer angestellt ist, muss sich unter Beweis stellen gegenüber den anderen oder gegenüber dem externen Markt. Pull your own weight ist die Devise.
Und das Unternehmen ist Dienstleister gegenüber den unabhängig Beschäftigten. Es bietet Führung; es stellt einen Rahmen aus Vision, Mission, Zielen und Werten her, in den sich unabhängig Beschäftigte einhängen können. Das Unternehmen nimmt ihnen solche “abstrakten Dinge” ab. Dazu gehört auch, dass das Unternehmen unabhängige Beschäftigte an Bord holt, die eine wertvolle Ergänzung für die anderen darstellen. Ganz zu schweigen von Buchhaltung und anderen administrativen Aufgaben. Und auch das (Selbst)Marketing ist kann schwächer ausfallen als am freien Markt.
Das Unternehmen als juristische Person und repräsentiert durch die Eigner hat einen eigenen Willen. Sein Zweck ist die Profitgenerierung. Dafür muss es die passenden Bedingungen schaffen. In Old-Work-Unternehmen werden dafür extrahierende Kontrollhierarchien aufgebaut. In New-Work-Unternehmen hingegen liegt der Fokus auf Empowerment: das Unternehmen als Plattform, derer sich unabhängige Beschäftige bedienen, um ihre eigenen Ziele zu erreichen.
Das Unternehmen muss sich deshalb attraktiv darstellen. Um Beschäftigte anzuziehen, muss es ihnen darstellen, wie es ihnen dienen kann. Primär geht es dabei um die Unterstützung ihres unternehmensinternen Business. Sekundär können dazu aber auch Leistungen wie Tischtennisplatte oder vegane Kantinengerichte gehören.
Solche Umkehr der Verhältnisse braucht natürlich auch ein Umdenken bei den Beschäftigten. Eine Fürsorgeerwartung ist fehl am Platze, wenn man unabhängig beschäftigt sein will. Das Plattform-Unternehmen ist ein Dienstleister, kein Elternersatz. Unabhängig Beschäftigte sind erwachsen und selbstständig. Sie sorgen für sich selbst. Dazu gehört, dass sie sich nicht abhängig machen von einem Plattform-Unternehmen. Der Vertrag, den sie eingehen, ist auf Zeit. Sie überprüfen ihn immer wieder, ob er ihnen noch taugt.
Jeder unabhängig Beschäftige überlegt sich, ob die angebotenen Bedingungen für ihn stimmen:
Glaubt er an den Rahmen, den das Unternehmen aufspannt?
Findet er für sich darin einen Platz, an dem er meint, in seiner Autonomie genügend Geld zu verdienen?
Bietet das Unternehmen genügend Service für ihn, so dass er sich auf das Wesentliche konzentrieren kann? Der Service kann vom Unternehmen direkt kommen oder aus der internen Umwelt von anderen unabhängig Beschäftigten.
Sind in New Work Plattform-Unternehmen noch Abhängige beschäftigt. Ich möchte sagen, nein. Doch ich denke, das ist unrealistisch und auch nicht nötig. Abhängige Beschäftigte sind dort akzeptabel für Unternehmen, wo der Zielkonflikt keine Rolle spielt. Wo das Management genügend klare Regeln aufstellen kann, so dass die Arbeit der abhängig Beschäftigten zweifelsfrei dem Unternehmen dient, kann weiterhin nach Old Work Manier geschafft werden. Tätigkeiten, die erstens unzweifelhaft und zweitens im Resultat einfach zu messen sind, scheinen mir Kandidaten dafür.
Niemand soll zu New Work gezwungen werden. New Work ist kein Selbstzweck. Aber New Work stellt Ansprüche an Unternehmen wie Beschäftigte. Es gibt nicht “ein bisschen New Work” als Zuckerguss. New Work ist eine fundamentale Änderung der Verhältnisse zum Zwecke der Verbesserung der viability eines Unternehmens.
Und wie verdient das Unternehmen mit New Work? Es lässt sich seine Leistungen etwas kosten. Insofern gibt es auch keine Gehaltsverhandlungen bei der Anstellung. Jeder abhängig Beschäftigte darf verdienen, was er will. Transparenz der Verdienste ist dabei von Vorteil, weil dadurch Potenzial demonstriert werden kann. Wer überlegt, seine Arbeit auf eine Plattform zu stellen, möchte wissen, wie es darin um die Verdienstmöglichkeiten bestellt ist. Ob er dann das, was andere erreichen, auch erreicht oder gar übertrifft… liegt in der Selbstverantwortung jedes unabhängig Beschäftigten.
Gegenüber einer Selbstständigkeit kann er jedoch gewiss sein, weniger Aufwand für Buchhaltung und Marketing leisten zu müssen. Diese Aufgaben nimmt ihm das Unternehmen ab oder erleichtert sie zumindest.
Der unabhängig Beschäftigte zahlt dem Unternehmen mindestens eine hosting fee. Die hat einen Mindestbetrag, um z.B. Buchhaltungskosten zu decken. Darüber hinaus kann sie aber auch prozentual nach Umsatz des unabhängig Beschäftigten gestaffelt sein. Das mag sich wie eine zusätzliche Bürde anhören, wo doch der Beschäftigte Steuern und Sozialabgaben zahlen muss. Dieser Pflicht steht allerdings ein Recht gegenüber: der unabhängig Beschäftigte darf so viel verdienen, wie er mag. Er wird nicht mit einem Festgehalt eingestellt, für dessen Steigerung er einem Management gegenüber irgendwelche Leistung demonstrieren oder Energie in Ränkeschmiede investieren muss. Vielmehr gehört der gesamte Umsatz, den er durch eigene Aktivität macht, ihm — abzüglich Steuern und Sozialabgaben und vereinbarter hosting fee. New Work kennt keine Beförderung mit Gehaltserhöhung.
Der unabhängig Beschäftige sieht daher auch die vollen Steuern und Sozialabgaben. Der übliche Bruttolohn hat für ihn keine Bedeutung. Wer z.B. 3600€ Umsatz in einem Monat macht, sieht, dass er davon 1335€ an Steuern und Sozialabgaben zahlen muss. Zusätzlich vielleicht noch 226€ oder 10% hosting fee; das Nettoeinkommen wäre also 2039€. Anders als dem abhängig Beschäftigten steht es ihm jedoch frei, Wege zu finden, um schon im nächsten Monat 2550€ in der Tasche zu haben. Dafür müsste er lediglich 4800€ Umsatz generieren.
Können New-Work-Unternehmen denn auf diese Weise noch reich werden? Ja und nein. Ja, weil ihnen frei steht, die hosting fee mit den abhängig Beschäftigten auszuhandeln. Die könnte auch progressiv steigen bei denen, die das Geld vom externen Kunden bekommen, z.B. den Verkäufern. Anders als heute bekämen Verkäufer keine Provision mehr, sondern würden intern mit der hosting fee “besteuert”.
Nein, weil unter New-Work-Bedingungen die Beschäftigten in einer anderen Verhandlungsposition wären. Sie würden sich nicht mehr einfach extrahieren lassen. Als mündige Kunden des Plattform-Dienstleisters würden sie anders verhandeln. New Work würde zu einer faireren Verteilung der Einkommen führen.
Zwar muss das Eingehen von Risiko immer noch belohnt werden, doch die heutige Unternehmensmacht gegenüber Angestellten sollte ausgehebelt werden. Auch intern gehen unabhängig Beschäftigte Risiken ein; dafür verdienen sie ebenfalls eine gute Entlohnung.
Der Kreativität, was New-Work-Unternehmen unabhängig Beschäftigen anbieten, um von ihnen eine hosting fee zu bekommen, ist keine Grenze gesetzt. Da unabhängig Beschäftigte quasi-selbstständig sind und nur formal nach außen angestellt, könnten sie daran interessiert sein, Flauten überbrückt zu bekommen, ohne kündigen zu müssen und Arbeitslosengeld zu beziehen. Das Plattform-Unternehmen könnte deshalb z.B. eine Art Grundeinkommen offerieren. Oder es könnte eine “Anschubfinanzierung” bieten. Wer an Bord kommt, muss sein Angebot gegenüber den Peers ja vielleicht erstmal etablieren. Auf diese Weise würde das Unternehmen zu einer echten Solidargemeinschaft.
Ohnehin sollte der Lohn aus einem fixen und einem variablen Teil bestehen. Der fixe ist so klein wie möglich, um auch in schlechten Zeiten gezahlt werden zu können. Der variable Teil hingegen kann beliebig wachsen. Daran lässt sich auch ein unemotionaler Kündigungsgrund knüpfen: Wer als unabhängig Beschäftigter seinen Mindestlohn nicht mehr verlässlich erwirtschaftet, muss gehen.
Woher kommt der Profit für die Unternehmenseigner? Wie bei Old Work ist der Profit das, was nach Abzug der Kosten und Steuern vom Unternehmensgewinn übrig bleibt. Der entsteht im Innenverhältnis des New-Work-Unternehmens allerdings nur auf der Basis der hosting fees. Das eingenommene Geld fließt über die variablen Gehälter der unabhängig Beschäftigten und alle sonstigen Kosten/Ausgaben im Grunde komplett ab. Ausgenommen davon ist die hosting fee.
In meiner Vision von New Work sind alle Unternehmen for purpose Unternehmen. Sie können nicht anders, denn sonst finden sie keine Kunden, d.h. ihre Mitarbeiter. Nur, wenn sie denen eine klare und belastbare Perspektive für ihre eigene fachliche Tätigkeit bieten können, kommen die an Bord.
Dieser purpose muss aber gar nicht mehr so dick aufgetragen werden, wie bei Old-Work-Unternehmen, die verzweifelt versuchen, attraktiv zu werden. Denn im New-Work-Unternehmen ist jeder unabhängig Beschäftigte für sich ein purpose generator. Jeder arbeitet ja für sich und weiß, warum er das tut. Er sieht seine Kunden unmittelbar; auch das stiftet Sinn. Und auch Allianzen können zwischen unabhängigen Beschäftigten geschmiedet werden, um sich gegenseitig zu helfen. So entstehen wahrlich autonome Teams von unten. Nichts muss von oben durch ein Management verordnet werden. Das Plattform- Unternehmen als organisch wachsendes team of teams.
Der Erfolg des Ganzen ist emergent. Das Unternehmen ist erfolgreich, wenn der Durchschnitt der unabhängig Beschäftigten erfolgreich ist. Deren Erfolg entsteht jedoch auf andere Weise als der des Unternehmens. Die unabhängig Beschäftigten sind auf den externen Markt ausgerichtet; das Unternehmen auf die unabhängig Beschäftigten. Es verdient nur indirekt am Markt.
Genau das macht jedoch den wichtigen Unterschied aus! Das New-Work-Unternehmen kann nicht mehr als Ganzes versuchen, Erfolg “in den Markt hinein zu kontrollieren”. Es kann den Markt nicht wie seine Beschäftigten “einfach so” extrahieren. Vielmehr ist es allein auf Führung zurückgeworfen, d.h. die Schaffung von internen Verhältnissen, die seine Konstituenten befähigen, das Bestmögliche zu erreichen. Autonom, in Unabhängigkeit.
Das New-Work-Unternehmen gibt mithin Kontrolle auf. Sein Modus ist Vertrauen. Vertrauen in die Summe des individuellen Strebens seiner unabhängig Beschäftigten. Das New-Work-Unternehmen gleicht damit einem Staat, der eine offene Gesellschaft zulässt. Der Staat ist eine Plattform für Unternehmen; New-Work-Unternehmen sind eine Plattform für unabhängig Beschäftigte. Sie isolieren sie von der Komplexität der staatlichen Plattform. New-Work-Unternehmen legen eine Abstraktionsebene auf, um das selbstständige wirtschaftliche Agieren einfacher zu machen.
Das ist für mich wahrlich New Work!
Was bedeutet das für Anna und Robert? Als Führer eines New-Work-Unternehmens können sie nicht “durchregieren”. Um die Unternehmensmission zu erfüllen, müssen sie genau überlegen, welche Rollen für sich profit center sein können. Denn nur wenn unabhängig Beschäftigte eine Chance haben, auf dem internen Markt etwas zu verdienen, haben sie ein Interesse, an Bord zu kommen.
Ist die oben skizzierte Rollenverteilung praktikabel? Können zwei Kräutersammler ihre Dienste teuer genug der Portionierung verkaufen? Hat das Informationsangebot von Marketing/Produktentwicklung genügend Attraktivität, auch wenn damit nicht direkt zur Produktion beigetragen wird?
Im New-Work-Unternehmen sehe ich auch viel mehr natürlichen Willen zu gemeinschaftlichen Entscheidungen. Warum sollten Anna und Robert allein über den Rollenmarkt grübeln? Wäre es nicht zielführender, die interne Entwicklung mit den Teilnehmern des internen Marktes abzustimmen. Die kennen ihre Bedürfnisse am besten. Die Aufgabe von Anna und Robert wäre ihnen gegenüber, immer wieder an Werte, Vision, Mission, Ziele zu erinnern.
Meine Idee von New Work käme also ganz organisch ohne Hierarchie aus. Führung wäre klar definiert und eine Dienstleistung (servant leadership). Durch die Umkehrung der Abhängigkeitsverhältnisse — Beschäftigte sind unabhängig, das Unternehmen abhängiger Geldempfänger der Beschäftigten —, würden Attribute, die sonst “krampfhaft” gewollt werden, von sich aus ausgeprägt.
Das fühlt sich gut an, finde ich. Das wäre doch mal was Neues, oder? Statt the next management fad zu feiern, einfach schauen, wo Bedarf bei den Kunden des Plattform-Unternehmens entsteht. Und die Kunden… das sind die unabhängig Beschäftigten.
Was ich hier beschrieben habe, ist natürlich nur eine Skizze. Der fehlen Details, sie zeigt nicht einmal das ganze Bild. Aber sie vermittelt eine Idee. Vielleicht lässt sie erspüren, wie anders „die Energie“ in einem New-Work-Unternehmen sein könnte.
Ich finde, dieser Ansatz ist Experimente wert. Seit zwei Jahren führe ich selbst eines durch. Das ist vor drei Monaten in eine neue Phase getreten: Zuerst war ich Eigentümer eines New-Work-Unternehmens, jetzt bin ich „nur noch“ unabhängig Beschäftigter. Und ich kann sagen: das macht mir Spaß. Ich fühle mich entlastet; ich habe mehr Energie für das Fachliche.
Wie geht es weiter? Ich werde berichten…
Dass viele Angestellte nicht nur “Dienst nach Vorschrift” erbringen, ist keine Leistung solcher Unternehmensverhältnisse, sondern ist persönlich motiviert. Menschen mögen es, zu leisten und anerkannt zu werden, von Kunden, Peers und Vorgesetzten. Geld ist ihnen nicht genug als Lohn. Innere Kündigung und great resignation sind jedoch Anzeichen dafür, dass es vielen immer schwerer fällt, sich diesen Anteil ihres Lohnes zu verschaffen.
Ich vereinfache die anfallenden Tätigkeiten, um das Beispiel auf das Wesentliche konzentriert zu halten.
Ob Anna wirklich allen Informationen liefern oder z.B. nur Verkäufer Robert, ist nicht wichtig. Es geht ums Prinzip.
Das klingt nicht attraktiv, oder? 33% mehr Umsatz für nur 25% mehr Nettoeinkommen? Aber so ist halt die Realität der Steuer- und Abgabenlast in Deutschland. Daran kann auch New Work nichts ändern. Selbstständigkeit ist daraus ebenfalls keine Flucht, oder wenn, dann wird das höhere Nettoeinkommen mit mehr administrativem Aufwand bezahlt.