Menschen werden sterben
Meine Sterbezahlvorhersage für den Rest des Jahres 2020: Mehr Menschen werden sterben. Und es kommt noch schlimmer! Ja, tatsächlich!
Meine Vorhersage für den Rest des Jahres 2020: Winter is coming and people will die! Und es kommt noch schlimmer! Ja, tatsächlich!
Ende Oktober 2020 sieht die Entwicklung der Sterbezahlen in Europa laut EUROMOMO seit Januar so aus:
Über den Gipfel Anfang April müssen wir nicht reden. Oder nur insofern ist er interessant, als dass dieser Anstieg der Sterbefälle ungewöhnlich spät im Jahr liegt. Normalerweise ist die Übersterblichkeitswelle 2–3 Monate früher auf ihrem Höhepunkt. Aber da ist nichts zu sehen jenseits der erwartet höheren Todeszahlen in Wintermonaten im Vergleich zu den Sommermonaten.
Um die Toten der Vergangenheit soll es mir heute aber nicht gehen. Sie mögen in Frieden ruhen. Mich interessieren die Toten der Zukunft.
Was lässt sich an Entwicklung für die Zeit jenseits der roten Linie, des Heute prognostizieren?
Wer etwas auf den Wetterbericht in der Tagesschau hält, der hält auch etwas auf die Kunst der Vorhersage aufgrund von historischen Daten. Dass es am Morgen kälter ist als am Abend, dass es im Winter kälter ist als im Sommer: das ist nicht überraschend. Unsere Erfahrung sagt uns, dass das auch in Zukunft so der Fall sein wird (selbst wenn die Nächte allgemein vielleicht wärmer und die Sommer allgemein kälter werden als bisher durch den Klimawandel).
Also: Die Vergangenheit kann uns etwas über die Zukunft verraten, wenn der Weltenlauf einem Muster folgt.
Und wie ist das nun mit den Sterbefallzahlen? Wie läuft da die Welt? Gibt es ein Muster? Bei EUROMOMO sind auch die Sterbefallzahlen der vergangenen Jahre abrufbar. Hier die für 2017 bis 2019 (der rote Strich symbolisiert den aktuellen Zeitpunkt Ende Oktober in den vergangen Jahren):
Für mich ist ein Muster offensichtlich. Die Welt folgt einer “Regel”. Warum die für 2020 nicht gelten sollte, weiß ich nicht. Deshalb erlaube ich mir basierend auf diesen historischen Daten die Prognose:
Ab jetzt werden jede Woche, jeden Monat bis hinein ins Jahr 2021 nicht nur mehr Menschen sterben, sondern mehr mehr Menschen.
Mehr Menschen sterben ohnehin jeden Tag. Ich glaube, darüber müssen wir nicht diskutieren. Im Durchschnitt sind es pro Tag ca. 2500 in Deutschland oder pro Woche 17.500. D.h. bis Jahresende werden weitere 140.000 Menschen sterben, wenn nur so viele sterben, wie eben im Durchschnitt sterben.
Allerdings sterben die Menschen nicht nach Durchschnitt. Dann gäbe es keine Sterbewellen. Ja, genau, jedes Jahr gibt es eine oder zwei Wellenberge bei den Sterbefallzahlen. Menschen sterben immer in Wellen; das taten sie schon vor COVID-19. Die erste Welle ist im Winter, die zweite im Sommer. Im Sommer aufgrund von Hitze, die geschwächte Körper belastet; im Winter aufgrund von Infektionen, die geschwächte Körper belasten. So ist das Leben. Immer schon gewesen.
Deshalb prognostiziere ich nicht nur, dass 140.000 weitere Menschen bis Ende 2020 sterben, sondern sogar noch mehr. Denn die Entwicklung der Sterbefallzahlen ist nicht linear. Das ist das Muster in den historischen Daten:
Nicht nur steigen die Sterbefallzahlen in allen Jahren ab ca. KW 36 (Ende August),
der Anstieg ist sogar steigend — oder neudeutsch: exponenziell.
In allen drei vergangenen Jahren sind die Sterbefallzahlen im letzten Quartal exponenziell gestiegen. Ausnahmslos. Die Exponenzialität ist nicht sehr stark, aber sie ist da. In 2017 ist das besonders deutlich.
Irgendwann kommt natürlich stets ein Punkt, wo die Entwicklung erst abflacht und dann auch wieder rückläufig ist — es ist ja ein Wellenberg — , doch zunächst ist da eben der Anstieg und sogar der stärker werdende Anstieg.
Für die Autofahrer unter den Lesern: Die Entwicklung der Sterbefallzahlen beschleunigt sich immer zum Jahresende hin.
Und so wird es auch 2020 sein. Und 2021. Und 2022. Das ist einfach der natürliche Lauf der Welt.
Deshalb meine Prognose: Die Zahl der Sterbefälle wird steigend steigen bis Jahresende. Und deshalb wird auch die Zahl der Todesfälle, die COVID-19 zugerechnet werden, steigend steigen. Das ist nicht zu vermeiden.
Wer sich darüber wundert, der wundert sich auch jedes Jahr wie weiland Franz Beckenbauer “Ja, ist denn heut’ scho’ Weihnachten?”
Die Frage ist also: Was macht man nun damit, dass es mehr mehr Sterbefälle garantiert geben wird?
Man kann das bedauern und als natürlich annehmen. Man kann auch schauen, dass man dieses Jahr noch nicht dazu gehört; sich fit halten körperlich und seelisch, trägt dazu bei.
Oder man kann das leugnen.
Und das scheint mir der Fall zu sein in der Gesellschaft Deutschlands im Jahr 2020.
Die scheint nämlich aus allen Wolken zu fallen, dass die Welt so sein könnte. In der Vergangenheit hat man sich darüber nicht großartig bekümmert. So war es halt. Gekümmert hat man sich deshalb auch nicht um Dinge, die mit Tod und Sterben zu tun haben, z.B. persönliche Vollmacht, Patientenverfügung, Testament. Auch die ganzen persönlichen Verhältnisse, die das Leben prekär machen und ein Ableben beschleunigen, bekümmern kaum, z.B. die Ernährung, die körperliche Fitness, geringe Lärmbelastung, geringer Stress daheim und auf der Arbeit usw.
Nein, man arbeitet, sitzt, raucht, trinkt, streitet, als gäbe es kein Morgen.
Und am Abend dann der Krimi mit Mord und Totschlag. Oder besser: Dystopie und Apokalypse bei Netflix.
Das Elend ist immer woanders oder fiktiv. Mit dem eigenen Leben hat das alles nichts zu tun. Sterben tun die anderen — vor allem die, die man nicht sieht.
Doch 2020 ist etwas anderes. Da flimmern jeden Tag die Toten im eigenen Land über die Smartphone-Screens. Kurven werden gezeigt, nie gesehene und deshalb überraschende und deshalb völlig neue und unnatürliche Kurven brennen sich nun jedem ins verzweifelnde Hirn.
Kann denn das sein, dass Menschen sterben? Kann es denn sein, das alte Menschen besonders anfällig sind fürs Sterben?
Nein! Das kann nicht sein. Vor allem aber: Das darf nicht sein.
Fertig ist die Leugnung.
Nicht die Corona-Leugner sind das Problem. Es sind die Leugner der Endlichkeit, die sich und anderen das Leben, das endliche schwer machen. Denn sie stemmen sich nun mit Macht gegen das Unausweichliche.
2020 wird als das Jahr in die Geschichte Deutschlands eingehen, in dem nicht 1,1% der Bevölkerung wie üblich und ohne Aufhebens gestorben ist. Nein, 2020 wird das Jahr sein, in dem 1,1% der Bevölkerung gestorben sind.
Genau, früher 1,1% und jetzt immer noch und schon wieder 1,1%. Denn eine genauere Messung als bis auf ein Promille (0,1%), ist wahrscheinlich nicht seriös möglich. Oder falls doch… dann sind es 2020 vielleicht 1,11% Verstorbene. Mehr aber nicht.
2020 wird also als das Jahr in Deutschland erinnert werden, in dem das Leben maximal eingeschränkt wurde — und unterm Strich niemand mehr als sonst gestorben ist. (Die Deutung wird dann sein, dass dieses wunderbare Ergebnis ausschließlich auf die Einschränkungen zurückzuführen ist. Ob sich diese Kausalität je beweisen lässt, lasse ich dahingestellt.)
Niemand mehr also als in früheren Jahren wird sterben — nichtsdestotrotz natürlich im restlichen Verlauf des Jahres mehr mehr als in vorherigen Monaten. Denn die natürliche Sterbefallzahlentwicklung wird sich nicht aufhalten lassen.
Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Versucht man sich in der Illusion der Unsterblichkeit einzurichten und das Natürliche zu leugnen und also bei plötzlicher Desillusionierung alle möglichen Maßnahmen aufzufahren, um sich dem, was nicht sein darf, entgegen zu stemmen?
Oder nimmt man eher eine akzeptierende und heitere Haltung ein, die sich daran erfreut, nun endlich die Realität besser zu sehen?
Leider vermute ich, dass die Leugnungsreaktion stark sein wird. Und was Menschen alles bereit sind zu tun, um ihre Illusionen aufrecht zu erhalten, das zeigt ja die Geschichte. Naja, sie zeigt es, wenn man bereit ist, sie anzuschauen. Dass Menschen lieber sterben, als sich der Realität nicht zu stellen, scheint mir jedenfalls gut dokumentiert.
Und das ist in der Sache COVID-19, die so mit dem Tod assoziiert ist, dann doch ironisch, oder? Ein kollektiver Suizid — wenn schon nicht an Leib und Leben, dann aber seelisch und wirtschaftlich — soll vor dem COVID-19 Ende schützen.
Aber vielleicht bleibt es ja beim Suizidversuch und das Schicksal hat noch etwas Besseres für das Deutsche Wesen in petto?