Führung ist eben ein anstrengendes Geschäft
Im Film sieht man immer mal wieder, dass Loyalität beschworen wird. Besonders, wenn es um (Familien)Bande(n) aller Art geht.
In der Unternehmenswelt geht es auch immer mal wieder, nein, eher ständig um Loyalität. Die wird sogar in Stellenausschreibungen als Voraussetzung definiert. In dieser
steht z.B. die Anforderung
Hohe Teamfähigkeit, Loyalität und warme Persönlichkeit.
Loyalität gilt als wichtiger soft skill:
Zuverlässigkeit/Loyalität wird wieder als Bewerbertugend geschätzt.
Klingt doch auch irgendwie normal und solide, oder? Ist es nicht selbstverständlich, seinem Arbeitgeber gegenüber loyal zu sein?
Mag sein — halte ich nur nicht für produktiv. Jedenfalls nicht mit der Betonung, die Loyalität oft bekommt.
Loyalität wie oben zitiert ist nämlich auf die Organisation und nicht auf die Sache gerichtet. Das scheint mir ursprünglich auch der Zweck gewesen zu sein. Loyalität gegenüber einer Führungsperson war gefragt: Gutsherr, Offizier, König, Gott. Und diese Führungsperson war Stellvertreter für eine Organisation, d.h. ihre Gefolgschaft.
Bei Loyalität geht es mithin um Gemeinschaft. Loyalität soll sicherstellen, dass eine Gemeinschaft auch unter Stress bestehen bleibt.
Das ist umso wichtiger, je mehr Gemeinschaft an sich das Mittel ist, um einen Zweck zu erfüllen, also quasi Selbstzweck. Wenn Gemeinschaft, vereinfacht gesagt “ein Haufen Menschen”, z.B. Sicherheit verspricht, dann ist Loyalität von höchster Wichtigkeit. Jeder, der aus der Gemeinschaft ausbricht, schwächt sie und bringt die Zweckerfüllung für die Verbleibenden in Gefahr.
Mir scheinen die Zeiten jedoch vorbei, in der mehr oder wenig gut organisierte Massierung von Menschen einen allseits anerkannten Zweck erfüllt. Allemal in Unternehmen ist das nicht (mehr) der Fall.
Unternehmen leben nicht von der schieren Quantität an Menschen, sondern von deren Qualität und der Qualität ihrer Werkzeuge, Materialien, Prozesse.
Deshalb halte ich Loyalität für überbewertet. Gemeinschaft ist kein Selbstzweck. Gemeinschaft und die darin mögliche Zusammenarbeit ist vielmehr nur Mittel, um einen anderen Zweck zu erfüllen.
Damit ergibt sich ein Zielkonflikt. Ziel #1: Gemeinschaft erhalten, Ziel #2: Zweck erfüllen. Solange Gemeinschaft als Selbstzweck ausreichte, lagen beide Ziele in derselben Richtung. Heute führt der Weg zu den Zielen jedoch durchaus in verschiedene Richtungen. Wer den einen beschreitet, läuft schnell Gefahr, den anderen zu verlassen.
Loyalität ist jedoch weiterhin auf die Gemeinschaft gemünzt. Das bedeutet, wer Loyalität dem Unternehmen gegenüber zeigt, der erfüllt den ursprünglichen Zweck des Unternehmens womöglich nur noch suboptimal.
Im Zweifelsfall entscheidet sich der loyale Mitarbeiter also für das Unternehmen, für den Vorgesetzten, für die Kollegen — und damit gegen die Umwelt, den Kunden, das Produkt.
Ich kann mir nicht helfen, da muss ich an den VW Skandal denken… Und natürlich andererseits an Edward Snowden.
Loyalität ist nach innen gewandt. Ihr Maßstab ist die Organisation und die eigene Position darin. Das Außen ist ihr zweitrangig.
Wenn innen ein Gefallen eingefordert wird, fliegt die Kundenzufriedenheit im Zweifelsfall aus dem Fenster.
Aber für “Führungskräfte” ist es natürlich so viel leichter, Loyalität einzufordern. Damit entlasten sie sich nämlich. Verbleib in der Organisation wird von einer Holschuld zu einer Bringschuld. Nicht die Führungskraft muss sich stets bemühen, Anziehungskraft auszustrahlen. Nein, der Mitarbeiter ist nun in der Pflicht, von sich aus der Führungskraft treu zu bleiben, egal wie es um deren Anziehungskraft bestellt ist.
Ja, so kann man es versuchen zu halten oder zu drehen. Aber das funktioniert immer weniger. Loyalität lässt sich nicht (mehr) einklagen. Darauf zu pochen ist rückwärtsgewandt. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Mitarbeiter mit Hut in der Hand und gesenktem Kopf vor dem Chef steht.
Insbesondere dort, wo “top talent” gesucht wird, ist die Forderung nach Loyalität auch gänzlich fehl am Platze. Top talent hat so viele Optionen, dass es Pflicht zur Loyalität eher als abstoßend empfindet, weil einengend und nicht der Sache dienlich, für die es sicht interessiert.
Und wer nicht zum top talent gehört, der ist quasi automatisch loyal. Oder zumindest sieht es für die unbedarfte Führungskraft so aus. Denn wo es an Alternativen mangelt, da ist die Freiheit massiv eingeschränkt und deshalb die Abhängigkeit hoch. Abhängige bewegen sich deshalb tendenziell wenig von sich aus. Denn sie fürchten ja ständig den Verlust dessen, von dem sie abhängig sind.
In Wirklichkeit ist das jedoch keine Loyalität. Es ist nur Passivität, Stillhalten.
Denn so viel sei zur Ehrenrettung der Loyalität gesagt: in ihrem Kern steckt die Freiheit. Ein Appell an Loyalität ist ein Appell an die Autonomie des Gegenübers, sich aus freien Stücken doch für die Organisation zu entscheiden, auch wenn seine Bedürfnisse ihn eigentlich davon weg treiben.
Wer also daran interessiert ist, Kunden mit guten Produkten zufrieden zu stellen, der sollte sich von Gedanken an Loyalität befreien. Solange Loyalität als Wert hoch gehalten wird, ist die Produktqualität in Gefahr.
Je lauter der Ruf nach Loyalität, desto schwächer die Führung.
Führung ist eben ein anstrengendes Geschäft. Täglich stellt sich die Frage, wie die, die zur Herstellung eines Produktes nötig sind, auf das Ziel ausgerichtet werden können. Wie können die, die auch andere Optionen haben, motiviert werden, in der Gefolgschaft zu verbleiben und sich tatkräftig einzubringen? Wie können die, die kaum andere Optionen haben, motiviert werden, ihre Angst zu überwinden und sich mutig einzubringen?
Loyalität wird dann von allein in gesundem Maß entstehen, wenn die einen wie die anderen durch Führungskräfte auf ein lohnendes Ziel hin energetisiert werden. Denn wer möchte nicht dort verbleiben, wo er fühlt, dass er persönlich gebraucht wird? Denn wer möchte nicht dort verbleiben, wo sie fühlt, dass sie einen positiven Unterschied macht für die Sache, um derentwillen sie einmal die Mitarbeit angetreten hat?
Doch das braucht Aktivität bei Führungskräften. Das braucht womöglich sogar Disloyalität bei Führungskräften.
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