It’s the values, stupid!
Ich bin verstört durch den Faktencheck des Frank Taeger zum Video Zerstörung des Corona-Hypes. Der Faktencheck hat mir endgültig gezeigt…
Ich bin verstört durch den Faktencheck des Frank Taeger zum Video Zerstörung des Corona-Hypes. Der Faktencheck hat mir endgültig gezeigt, dass Fakten nicht das Erste sind, worüber wir uns in der Corona-Krise unterhalten müssen.
“Erst die Fakten und dann…” so könnte man denken. Doch so funktioniert das bewusste Leben nicht, weder das individuelle noch das gemeinschaftliche.🤔
Ein die Zerstörung zerstörender Faktencheck. OMG! Endlich die Wahrheit. Die einzige, die alternativlose. So hätte es jedenfalls sein sollen oder vielleicht auch können. Vielleicht. Aber dazu ist es für mich im Faktencheck leider nicht gekommen.
Schade, denn ich mag die Entlarvung, die kreative, erhellende Zerstörung. Ja, selbst wenn es mir weh tut, wenn meine Überzeugung sich aufzulösen beginnt, kann ich der Desillusionierung etwas abgewinnen. Denn das ist nur ein Übergangsstadium und auf der anderen Seite des Schmerzes ist es umso besser. Neue Überzeugung ist festerer Stand.💪
Eigentlich hätte mir der Faktencheck also gut gefallen können. Da ist einer mit dem Willen zur Argumentation angetreten und gibt eine andere Perspektive auf Zahlen-Daten-Fakten. Das regt doch zum Nachdenken an.
Doch dieser hämische, arrogante Ton. Sehr unschön; einer guten Argumentation nicht würdig. (Auch Sebastian im gecheckten Video hat sich beim Ton nicht mit Ruhm bekleckert für meinen Geschmack. Das hat seinem Beitrag auch nicht geholfen.) Doch vielleicht muss das in Social Media so sein. Vielleicht ist das wie beim Wrestling: Alle sehen grimmig aus und scheinen sich zu schädigen — doch eigentlich sind sie sich nicht gram🤣 Wo Zerstörung drauf steht, muss eben auch Zerstörung drin sein? Zimperlich darf man da auf keinem Kommunikationskanal senden. Es gibt ja mehr als die Sachaussage, mit der man zerstören kann.
Doch das ist nur eine Nebensächlichkeit in diesem Fall. Was für mich den Faktencheck so verstörend macht, ist etwas anderes, nicht die Fakten, nicht der Ton.
Ich hatte es schon ab und an gedacht, nur jetzt ist es mir ganz und gar klar geworden. COVID-19 ist gar kein Sachproblem. Es geht nicht primär um Gesundheit!
Natürlich sollten wir um die Fakten ringen. Beobachten, messen, rechnen, simulieren: das ist alles richtig. Weniger geht nicht. Doch die Ergebnisse sind eben eines nicht: Entscheidungen. Die allerwissenschaftlichsten Ergebnisse sagen uns nicht, was wir tun sollen. Dazu braucht es den Menschen, das Subjekt mit seiner ganzen Subjektivität.
Nun ist es so, dass Entscheidungen etwas mit Emotionen zu tun haben — und mit Werten.
Insofern spiegeln der Faktencheck wie das Zerstörungsvideo die Realität: Menschen mit Emotionen und Werten ringen um Deutungen von Wahrnehmungen. Das ist ganz persönlich und wird dann eben auch mal persönlich. Umso eher wird es persönlich, je mehr es ans Existenzielle geht.
Im Video wurde es zunehmend “werteorientiert”, je weiter es voranschritt. Die langen Videozitate gerade am Ende geben für mich keine Fakten wider, sondern sind Ausdruck von Werten desjenigen, der sie ausgewählt hat
Dito beim Faktencheck: zuerst Virologie und Mathematik — am Ende “Glaubensbekenntnis”. Der Faktencheck ist eben nicht nur Faktencheck, sondern kann nicht anders sein als ebenfalls ein “Wertemanifest”. (Dass der Autor das nicht selbst klar macht und auf Faktencheck beharrt, finde ich schade bei der präsentierten Reflektiertheit, aber letztlich ist es ja nicht anders zu erwarten. Also egal.)
Je weiter ich also gelesen habe, desto unwichtiger wurden für mich die Fakten. Zuerst bin ich über dies gestolpert:
“[W]ir bereiten uns bei Risiko auf die Maxima vor, nicht auf Mittelwerte.”, Frank Taeger
Da hab ich gedacht, “Hm… stimmt das? Ich dachte, es ginge um Erwartungswerte.” Ich hatte da mal wieder so ein Buch gelesen von einem Statistiker und Unternehmensberater, also einem Experten im Umgang mit Risiken, in dem mir das sehr plausibel dargestellt wurde. Denn würden wir uns immer auf das maximale Risiko vorbereiten, hätten wir wahrscheinlich keine Gemeinwesen oder zumindest keine Atomkraftwerke (weder so unsichere wie in Fukushima, noch so sichere wie in anderen Weltgegenden). Wenn ich mein Leben aufs maximale Risiko einrichten würde, würde ich Frank Taeger und niemand anderem begegnen wollen. Denn kann ich sicher sein, dass mich mein Nächster nicht plötzlich mit einem Messer anspringt? Möglich (!) ist das in jedem Supermarkt oder Kino, wo keine ausreichende Sicherheitskontrolle existiert. Auf Maske wird inzwischen geprüft, aber nicht auf andere Waffen als den Atem.
Mit jedem weiteren Abschnitt trat das Wertesystem des Autors dann für mich mehr zutage. In Summe drückt es sich für mich schließlich hier aus:
“Das Anstecken und Gefährden anderer Menschen ist tödlich und ich bin seit langem der Überzeugung, dass es entsprechend geahndet werden sollte. Ich kann nicht nachvollziehen, wie ich einen infizierten, der den Tod anderer Menschen in Kauf nimmt, noch verteidigen kann.”, Frank Taeger
Da bin ich raus. Da merke ich, dass ich das Wertesystem des Autors nicht teile. Die Fakten rücken in den Hintergrund. In den Vordergrund treten die Beweggründe für ihren Vortrag (und ihre Auswahl).
Es tut mir natürlich leid, wenn der Autor einen (nicht durch COVID-19 verursachten) Verlust in der Familie erleiden musste. Aber Worte wie diese lassen mich sofort auf große Distanz gehen:
“Mein Vater wurde von jemandem infiziert, der zuhause hätte bleiben müssen. Jemand, der in Sachsen dort weggesperrt worden wäre, hätte meine Mutter, deine Mutter oder sonst wen infizieren können. Wir gehen hier in Deutschland VIEL zu locker mit diesen Pathogenen um.”, Frank Taeger
Natürlich lese ich nur Worte, die eine unvollständige Beschreibung der innerlichen Verortung des Autors sind. So, wie sich mir diese Worte allerdings präsentieren, merke ich, dass der Autor und ich auf ganz verschiedenen Werteplaneten leben.
Welche Planeten sind das? Mir fällt es schwer, die wahrgenommene Differenz unserer Standpunkte knapp zu formulieren. Mir scheint jedoch, dass wir sehr unterschiedlicher Auffassung sind was Selbstverantwortung angeht und was Güterabwägung betrifft.
Die Faktenlage ist mir selbstverständlich nicht egal. Der Autor hat mich hier und da auch zum weiteren Nachdenken angeregt. Aber Fakten sind eben nicht alles und vor allem nicht das Erste, worüber wir uns unterhalten müssen, wenn’s ans Existenzielle geht.
Menschen sind immer schon angetrieben worden durch Werte (oder Leidenschaften, Ideale, Glauben, Fantasien). Die Menschheit ist im Guten wie im Schlechten dort, wo sie ist, aufgrund von Überzeugungen, nicht von Fakten. Menschen sind Menschen und keine Vulkanier. Selbst Wissenschaft ist nicht faktengetrieben, sondern emotionsgetrieben. Fakten sind auch in der Wissenschaft lediglich Mittel, nicht Zweck.
So bleibe ich nach Lektüre des Faktenchecks nicht mit einer neuen Erkenntnis in Bezug auf COVID-19 zurück. Ich bin nicht zerstört, was meine bisherige Fakteneinschätzung angeht. Viel profunder hat mich der Faktencheck philosophisch, geradezu spirituell bewegt.
Fukuyamas Ende der Geschichte ist nicht eingetreten. Im Gegenteil! Es weitet sich eine Kluft. Ein neuer Dualismus tritt auf. Vielleicht ist der sogar historisch neu und kann erst jetzt auftreten, da andere Dualismen überwunden wurden oder nicht mehr lebensbestimmend sind (oder zumindest scheinen).
Westen vs Osten, Kapitalismus vs Kommunismus, Christentum vs Islam, Reichtum vs Armut, Mann vs Frau, Hetero vs Homo, Freiheit vs Unfreiheit… das sind altbekannte Gegensatzpaare — die jetzt keine so großen Unvereinbarkeiten mehr darstellen, habe ich den Eindruck. Entweder hat die eine Seite “gewonnen” oder es ist schlicht egal geworden.
Natürlich ist das nicht überall gleich. Doch so ganz grundsätzlich scheint mir das der “Zeitgeist”. Das letzte Aufbäumen einer dieser Dualitäten war <Christentum/Kapitalismus/Reichtum> vs Islam in Form von Terrorismus. Zumindest wurde es so dargestellt. Gelegentlich wird auch nochmal Westen vs Russland aufgerufen oder auch Reichtum vs Armut.
Mein Gefühl ist nun durch den Faktencheck verstärkt, dass es post-post-modern um etwas anderes gehen wird: Selbstverantwortung vs Fremdverantwortung.
Die Gretchenfrage unserer Zeit lautet: “Nun sag, wir hast du’s mit der Selbstverantwortung? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.”
Es schien einmal so, als sei das Ziel der Menschen die Freiheit, die Selbstbestimmung. Haben dafür nicht Revolutionen und Gewerkschaften gekämpft? Gegen gegen die Sklaverei, gegen die Leibeigenschaft, gegen die Lohnsklaverei und für die Demokratie ist immerzu gegangen. Was sollte auch danach kommen? Kann es überhaupt etwas anderes geben, als das Streben nach freier Selbstbestimmung?
Mir scheint nun angesichts des Volksverhaltens in der Corona-Krise, dass es etwas danach geben kann. Oder vielleicht ist es auch kein pauschales Danach, sondern eine Oszillation zwischen Polen?
Meine Wahrnehmung ist, dass nach dem Freiheitsstreben das Fürsorgestreben kommt. Nicht für alle und immer, aber für die meisten meistens scheint Fürsorge, Geborgenheit, gekümmert bekommen wichtiger, als Freiheit, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung.
Das kann jetzt erst sichtbar werden, weil der Wohlstand so weit angewachsen ist (zumindest in der 1. und 2. Welt). Das hätte man sich 1883 zur Zeit der Sozialgesetzgebung in Deutschland wohl nicht träumen lassen — doch in knapp 140 Jahren kann eben viel passieren.
Solidarität ist ganz menschlich, vielleicht ist sie sogar der Nummer #1 Erfolgsfaktor der Menschheit. Doch wie alles, das auf ein Podest gehoben und verehrt und zu Alternativlosigkeit ermuntert, ist es eben auch potenzielles Gift.
Wenn ich also lese, dass jeder gefälligst jederzeit niemanden — auch nicht passiv — durch Ausatmung gefährden darf, dann schießt der Wert der Solidarität über sein Ziel hinaus. Ich lasse mich nicht zu meines Bruders Hüter machen. Mein Bruder soll gefälligst zuerst auf sich selbst achten.
Das ist es, was für mich seltsam abwesend ist in den meisten Diskussionen zu COVID-19: dass jeder zuerst einmal für sich sorge. Jeder ist sich selbst der nächste. Das ist unvermeidbar. Das ist die existenzielle Situation des Menschen. Jeder stirbt ganz fundamental für sich allein — auch wenn ihr oder ihm die Hand dabei gehalten wird.
Existenziell ist daher auch die Selbstverantwortung. Wer Freiheit will, der muss auch Verantwortung wollen.
Wer umgekehrt jedoch die Verantwortung auf andere übertragen will, der muss erstens damit rechnen, dass die dankend ablehnen. Zweitens jedoch und ganz gravierend: Wenn die Verantwortung übertragen ist, endet die Freiheit. Dann hat man das Recht auf Fürsorge und (!) die Pflicht zum Gehorsam.
In begrenztem Rahmen ist das natürlich auch für mich ok und wünschenswert. Der Rahmen, den der Faktencheck-Autor aufspannt, ist für mich hingegen zu groß, viel zu groß. Ich habe kein Interesse, meine Selbstverantwortung derart aufzugeben. Ich möchte auch nicht, dass jemand anderes versucht, sie mir abzunehmen. Dabei ist mir egal, welch guter Wille dahinter stehen mag.
Dem Autor will ich seine Welt nicht ausreden. Es ist nur keine, für dich ich mich stark mache oder in der ich leben möchte. Ich bin nicht abhängig beschäftigt und möchte es nicht sein. Ich lebe auch nicht mehr in dem Land, das solche Fürsorgebedürfnisse zu wecken scheint.
Verstört hat mich beim Faktencheck die Erkenntnis, dass wir nicht mehr so aufgeregt über die Sache reden müssen. Die Corona-Krise ist eine Krise der Werte ist. Das war mir bisher nicht so klar.
In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Dazu wünsche ich mir die Freiheit, innerhalb einer Gesellschaft darüber offen reden zu können. Und darunter liegend wünsche ich mir die Freiheit, zwischen Gesellschaft wählen zu können, die meinen Werten am ehesten entspricht.
Leider, leider scheinen beide Freiheiten derzeit auf dem Rückzug. Das Ende einer Geschichte. Der Anfang einer neuen Geschichte. Umso wichtiger, dass ich mir klar werde über meine Werte.
Ich hatte gedacht, es sei eine Frage aus der Mottenkiste, ist es aber nicht. Jeder stelle sich die Frage: Wofür bin ich bereit zu sterben?