Impfen: Jetzt mit neuer Strategie!
Bald ist die Pandemie vorbei. Bestimmt. Denn nun wird geimpft. Und Impfung, so hatte Angela Merkel gesagt, sei die Voraussetzung dafür…
Bald ist die Pandemie vorbei. Bestimmt. Denn nun wird geimpft. Und Impfung, so hatte Angela Merkel gesagt, sei die Voraussetzung dafür, dass die Pandemie vorbei sein könne.
“[Die Pandemie] wird nicht verschwinden, bis wir wirklich einen Impfstoff haben, mit dem wir die Bevölkerung immunisieren können.”, Angela Merkel im April 2020
Damit war jedoch nicht gemeint, dass die Pandemie vorbei sei, wenn ein Impfstoff zugelassen sein würde, sondern wenn genügend viele Menschen auch damit geimpft worden sind. Und wie viele Menschen sind “genügend viele”?
“Generell gehen die Virologen davon aus, dass die sogenannte Herdenimmunität erreicht wird, wenn etwa zwei Drittel der gesamten Bevölkerung geimpft sind — das wären bei einer Einwohnerzahl von 83 Millionen Menschen in Deutschland rund 55 Millionen Personen.”, Wirtschaftswoche vom 16.12.2020
Pandemieende laut Plan: April 2022
55 Millionen Geimpfte mit jeweils zwei Impfstoffverabreichungsterminen sind natürlich ein riesiges logistisches Problem. Wie lange mag es also dauern, bis die Pandemie zuende sein kann qua “Durchimpfung”?
“Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geht davon aus, dass bis Ende des Sommers 2021 rund 60 Prozent der Bürger in Deutschland gegen das Coronavirus geimpft sein könnten.”, Die Welt am 15.12.2020
Virologen wünschen sich 2/3 (66%, 55 Millionen) Geimpfte, Jens Spahn ist mit 60% zufrieden (ca. 50 Millionen Geimpfte). Ende des Sommers also, soll die Pandemie vorbei sein, d.h. im September/Oktober 2021.
Wenn ich mir sonstige Großprojekte anschaue, wage ich das natürlich zu bezweifeln. Was hat schon termingetreu geklappt? BER war es jedenfalls nicht, die Hamburger Elbphilharmonie auch nicht. Ist also zu erwarten, dass ein von Behörden organisiertes logistisches Großprojekt termingetreu klappt? Daran glaube ich nicht. Und die Bundesregierung glaubt ihrem Gesundheitsminister auch nicht. Denn der Impfplan sieht am 16.12.2020, also einen Tag nach der obigen Aussage so aus:
Wenn ich die danach bis Ende des Sommers 2021 Geimpften zusammenzähle (Gruppen 1 bis 4), komme ich nur auf großzügige 30 Millionen oder 36% der Bevölkerung. Schon der Plan Ende 2020 liegt gegenüber dem “Versprechen” des Bundesgesundheitsministers also fast 50% zurück. Das lässt leider nichts Gutes ahnen; denn bis dahin vergeht viel Zeit und vieles kann verrutschen.
Die Zahl der verabreichbaren Impfungen nehme ich mal mit 5 Millionen pro Monat an. Das ist etwas mehr als in Gruppe 5 geschafft werden soll nach neun Monaten “Übung”.
Um weitere 20 Millionen zu impfen, um auf 60% Durchimpfung zu kommen, wird es also noch mindestens 4 Monate ab Dezember 2021 dauern; vor April 2022 ist mit diesem Ergebnis also nicht zu rechnen.
Das bedeutet: Die Pandemie kann erst frühestens April 2022 zuende sein. Denn bis dahin existiert einfach nicht genügend Impfschutz in der Bevölkerung nach Ansicht der Regierung.
Das neue Impfen
Warum müssen aber 60–66% der Bevölkerung überhaupt geimpft werden? Ist ein solcher Aufwand in logistischer und finanzieller Hinsicht überhaupt notwendig?
Eine große Durchimpfung gibt es gegen Kinderkrankheiten. Aber das geschieht ja inkrementell jedes Jahr in überschaubarem Umfang. Knapp 780.000 Kinder werden jedes Jahr in Deutschland geboren und dann früher oder später geimpft. Das ist kein Problem und wird von den Arztpraxen geleistet.
Darüber hinaus gibt es den Aufruf, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Für wen gilt das aber? Das RKI empfiehlt grob gesagt eine Influenza-Schutzimpfung…
ab dem 60. Lebensjahr
für “Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung” und Schwangere
für Bewohnern von Alters- und Pflegeheimen
für Menschen, die in beruflichem Kontext obige Risikogruppen gefährden könnten.
Menschen in diesen Kategorien finden sich in den Impfplangruppen 1 bis 5:
über 80 Jährige (Gruppe 1: 5,4 Millionen), 75–80 Jährige (Gruppe 2: 4,1 Millionen), 70–75 Jährige (Gruppe 3: 3,6 Millionen), 65–70 Jährige (Gruppe 4: 4,8 Millionen), 60–65 Jährige (Gruppe 5: 5,5 Millionen)
Vorerkrankte (Gruppe 3: 260.000, Gruppe 4: 300.000), Schwangere (Gruppe 3: 760.000)
Bewohner von Altenheimen (Gruppe 1: 1 Million)
Medizinisches Personal (Gruppe 1: 1 Million, Gruppe 2: 1 Million), Altenpfleger (Gruppe 1: 1,2 Millionen)
In Summe sind das knapp 29 Millionen Menschen (34%), die nach der Empfehlung für Influenzaimpfungen geimpft werden müssten.
Aber warum eigentlich? Geht es nicht auch ohne Impfung? Immerhin fallen 54 Millionen nicht unter die Empfehlung. Das RKI erklärt, warum eine Impfung nicht für jeden notwendig ist:
“Eine Influenza-Erkrankung bei gesunden Kindern oder bei Erwachsenen unter 60 Jahren verläuft in der Regel ohne schwerwiegende Komplikationen.”
Das scheint mir medizinisch wie ökonomisch eine sinnige Erklärung: Wer kein hohes Risiko hat, an einer Influenza mit “schwerwiegenden Komplikationen” zu erkranken, braucht keine Impfung. Das spart Geld und das spart medizinische Ressourcen.
Das RKI behauptet also nicht, dass die, die von der Empfehlung nicht erfasst sind, nicht an Influenza erkranken könnten. Doch es sieht eben nur die als besonders schutzbedürftig an, die es in solchem Fall schwer treffen könnte.
So lautet eine langjährig akzeptierte Impfstrategie. So war es bisher.
Mit COVID-19 soll sich nun jedoch alles ändern. Nicht nur einen kleineren Anteil der Bevölkerung (34%) gilt es mit einer Impfung zu schützen, sondern am besten alle; und nur wenn das nicht zu schaffen ist, dann sollten mindestens 60–66% geimpft werden.
Verständlich wäre das, wenn COVID-19 auch für diese Zahl an Menschen eine Gefahr darstellen würde, so dass mit “schwerwiegenden Komplikationen” zu rechnen ist, die also nicht die Ausnahme, sondern die Regel wären. Ist das denn aber so?
Ein Risiko, das es zu vermeiden gilt, ist das des Todes, würde ich sagen. Der wäre die ultimative Komplikation einer Erkrankung. Aber auch eine Hospitalisierung scheint mir als “schwerwiegende Komplikation” wertbar. Wie sieht es damit aus bei COVID-19?
Im Dezember 2020 sieht die Sterbefallstatistik für COVID-19 in Deutschland so aus:
Es sind 26.964 Menschen an/mit SARS-CoV-2 verstorben. Davon sind 18.270 (67,7%) im Alter von 80 bis über 90 Jahre verstorben, d.h. völlig im Rahmen der allgemein Lebenserwartung von 81 Jahren.
Und ab dem 60. Lebensjahr, also ab dem Alter, da auch die übliche Influenza eine Gefahr darstellen soll, sind 25.895 Menschen gestorben. Das heißt: 96% aller Todesfälle gehören der allgemeinen Influenza-Risikogruppe an.
Oder umgekehrt: Außerhalb der Influenza-Risikogruppe verläuft COVID-19 “in der Regel” wie auch die Influenza ohne Gefahr für das Leben, also ohne eine “schwerwiegende Komplikation” mit Todesfolge.
Doch der Tod ist ja nicht die einzige “schwerwiegende Komplikation”. Wie steht es mit der Hospitalisierung? Leider habe ich dazu nur Zahlen aus der Schweiz gefunden. Doch warum sollten die sich kategorial von denen in Deutschland unterscheiden? Zum Abgleich die COVID-19 Sterblichkeit ab dem 60. Lebensjahr in der Schweiz: 98%. Das ist dicht dran an der deutschen Zahl, finde ich.
Für die nicht versterbenden Fälle mit “schwerwiegenden Komplikationen” sind nun die Hospitalisierungszahlen interessant. Wer könnte ein echtes Problem mit COVID-19 haben?
Die Hospitalisierungen unterscheiden sich von den Todesfallzahlen nicht kategorial: 77,5% der positiv getesteten Menschen, die im Krankenhaus liegen, sind 60 Jahre und älter. (Was noch nicht bedeutet, dass sie ursächlich deshalb ins Krankenhaus gekommen sind; es könnte auch ein Unfall vorliegen und ein routinemäßiger Test zufällig positiv ausgefallen sein.)
“Schwerwiegende Komplikationen” auch im Sinne eines Krankenhausaufenthaltes — der nicht einmal zwangsläufig auf einer Intensivstation verbracht werden muss — sind also vor allem auch nur bei der Influenza-Risikogruppe ab 60 Jahre zu erwarten.
Warum sollte sich die Impfstrategie für COVID-19 also ändern gegenüber den Empfehlungen für die Influenza? Warum braucht es ein neues Impfen, wenn über Jahre das alte gut genug war und Risikogruppen sich nicht verändert haben? Warum ist jetzt jeder ein Risikofall?
Das RKI formuliert für die Influenza-Impfung: “In der Regel” verlaufe eine Influenza ohne “schwerwiegende Komplikationen” — und deshalb sei nur dort eine Impfung empfohlen, wo die nicht gelte, also bei zu erwartenden Ausnahmen. “In der Regel” bedeutet für mich ein Anteil weit unter 50%. Nur 4% Todesfälle bei den unter 60 Jährigen und nur 22,5% Hospitalisierungen bei den unter 60 Jährigen sieht für mich nach “in der Regel” aus. Allemal, da der Grund zur Hospitalisierung nicht COVID-19 sein muss, auch wenn der Patient in die Statistik eingeht wegen eines positiven Tests.
Herausgezögertes Pandemieende
Ich frage mich, warum die Impfstrategie so massiv geändert werden muss — von 34% auf 60–66% zu Impfende — , weil diese Änderung das Pandemieende massiv hinauszögert.
Wenn, wie bei der Influenza nur die wirklichen Risikogruppen und enge professionelle Kontaktpersonen geimpft würden, dann wären das nur 29 Millionen. Laut Impfplan könnte das im Oktober 2021 geschehen sein, also 5 Monate vor dem derzeit voraussichtlichen Durchimpfungsende.
Wenn denn wirklich 29 Millionen geimpft werden müssen, wenn es da wenig oder gar keine Freiwilligkeit gibt wie bei der Influenza, deren Impfquote laut RKI notorisch zu niedrig sei, dann ist das immer noch ein riesiger logistischer Aufwand in einem Jahr. Doch er würde eben so gering wie möglich und nurso umfangreich wie nötig sein — und fast ein halbes Jahr früher wieder normaleres Leben in Deutschland gestatten.
Das neue Impfen mit allumfassender Risikogruppe — im Grunde 100% — und einer zähneknirschend hingenommenen Impfquote von “nur” 60–66% ist schlicht sehr, sehr teuer und sehr, sehr langwierig. Insofern ist es sogar doppelt teuer, weil bis April 2022 die Wirtschaftsleistung hinter den Möglichkeiten zurückbleiben wird und Unternehmen in die Insolvenz gehen und Unterstützungszahlungen fortdauern müssen.
Vom langfristigen Preis dieses Präzedenzfalles gar nicht zu reden. Denn wer es einmal geschafft hat, alle durchzuimpfen, der glaubt womöglich, weniger sei in Zukunft nicht mehr akzeptabel. Der wähnt sich als Beherrscher von Krankheit und Tod durch Impfung. Meine Prognose: An der allgemeinen Lebenserwartung werden wir diesen Kontrollwahn in den nächsten 5 Jahren nicht ablesen können.