Der perfekte Feind
Wer in und mit einer Gesellschaft etwas erreichen will, der bedient sich am besten der Angst. Die kommt mit Geling-Garantie. Und…
Wer in und mit einer Gesellschaft etwas erreichen will, der bedient sich am besten der Angst. Die kommt mit Geling-Garantie. Und SARS-CoV-2 ist der feuchte Traum von jedermann, der Angst erzeugen will. Aus welchen Beweggründen auch immer.
Angst ist ein ungeheurer Antrieb, etwas zu tun. Was ich tue, sei dahingestellt: ob ich fliehe, ob ich kämpfe, ob ich stillhalte… mit Angst lässt sich all das auf Knopfdruck erzeugen.
Ja, Hoffnung gibt es auch noch als Antrieb. Doch für mich schwingt da im Grunde auch Angst mit. Denn warum sollte ich hoffen? Hoffnung regt sich erst, wenn etwas im Hier und Jetzt schon nicht so gut ist. Also unterliegt der Hoffnung wieder Angst, nämlich die davor, dass es noch schlechter werden könnte.
Wenn Angst ein “negativer” Antrieb ist, dann ist Hoffnung also für mich noch kein “positiver”.
“Positiv” wäre für mich höchstens Neugierde. Für Neugierde muss im Hier und Jetzt nichts schlecht sein. Trotzdem fühle ich mich zu einer Veränderung angetrieben.
Allerdings ist Neugierde kein Antrieb, der skaliert. Damit kann man nicht viele Menschen motivieren, sich zu bewegen. Das scheint mir ökonomische Gründe zu haben: Aus Neugierde Energie aufzuwenden, also rein aufgrund einer wahrgenommenen Chance und ohne eine Gefahr zu spüren, kann leicht zu einer Energieverschwendung führen; die Wahrscheinlichkeit für eine Verbesserung scheint meistens viel kleiner als die für eine Verschlechterung; der Erwartungswert wird meistens als zu gering wahrgenommen. Die meisten Menschen sind für mich deshalb die meiste Zeit nicht durch Neugierde angetrieben.
Veränderung ist also vor allem eine Sache der Angst. Man muss eine Verschlechterung der Verhältnisse spüren, weil sie real schon eingetreten ist, oder zumindest zu ahnen ist.
Das bedeutet nicht, dass die meisten Menschen die meiste Zeit in Angst leben. Auch das wäre ja unökonomisch. Nein, die meisten leben meistens wohl in einem neutralen Zustand. Ihre Verhältnisse verändern sich von allein kaum; sie gehen ihrem Leben ohne Veränderung nach. Selbst wenn die Verhältnisse noch zu wünschen übrig lassen, wäre eine willentlich hergestellte Veränderung zu risikoreich. Die Hoffnung auf mögliche Verbesserung durch Veränderung wird von der Angst vor einer möglichen Verschlechterung übertroffen. Die meisten Menschen sind risikoscheu.
Auf diese Menschen treffen dann andere, die etwas bewegen wollen. Die Fragen sich, wie sie mit den ganzen risikoscheuen das schaffen können. Wie lassen sich Veränderungen erreichen, wenn die viele Menschen betreffen? Wie lassen sich viele Menschen aus ihrer “Neutralität” (oder Lethargie?) herausholen?
Neugierde scheidet im Grunde aus. Wenn die Verhältnisse noch nicht so schlecht sind für die meisten Menschen, dann scheidet auch Hoffnung aus.
Was bleibt, ist also Angst.
Angst geht immer! Angst geht, wenn die Verhältnisse schlecht sind — denn sie könnten noch schlechter werden. Angst geht, wenn die Verhältnisse gut, sogar sehr gut sind — denn dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie schlechter werden, ja noch viel größer.
Wer etwas verändern will, der wählt am besten Angst als Antrieb.
Wie lässt sich Angst am besten erzeugen? Es braucht eine imminente, konkrete und persönliche Bedrohung.
Imminent: Die Bedrohung muss nah sein, nicht in ferner, gar unbekannt ferner Zukunft.
Konkret: Die Bedrohung muss fasslich, klar, nachvollziehbar sein, nicht abstrakt oder theoretisch.
Persönlich: Die Bedrohung muss für denjenigen (oder seine (Wahl)Verwandtschaft) spürbar sein, der etwas tun soll, der Energie für eine Veränderung aufwänden soll (indem er sie mit herstellt oder erduldet).
(All diese Kriterien werden übrigens vom Klimawandel bisher nicht für Menschen in der westlichen Welt erfüllt. Jedenfalls nicht für die meisten. Deshalb führt Klimawandel — aus meiner Sicht — nicht zu breiten und deutlichen Verhaltensänderungen.)
Um eine Bedrohung mindestens konkret und persönlich zu machen, hilft es darüber hinaus sehr, sie zu personifizieren. Eine solche Bedrohung ist dann ein Feind. Feinde meinen es persönlich. Sie haben es auf dich und mich abgesehen.
(Auch darunter leidet der Klimawandel. Es gibt bisher kein Feindbild ab.)
Beliebte Feinde aus der Geschichte, die etwas in Bewegung gebracht haben:
Andersgläubige (z.B. Christen, Muslime, Juden, Kommunisten): Die funktionieren immer, solange Glaube (oder allgemeiner: Ideologie) kohäsionsstiftend in Gesellschaften ist. Andersgläubige können dann als Gefahr für diesen “Klebstoff” aufgebaut werden.
Privilegierte (z.B. Adel, Klerus, Reiche, Eliten): Die funktionieren immer, wenn es eine Ungleichheit, eine Hierarchie gibt. Privilegierte können als Gefahr für die Selbstbestimmung aufgebaut werden.
Wann und wo solche Feindbilder Angst und deshalb Veränderungsenergie freigesetzt haben, liegt auf der Hand. Die Glaubenskriege und Revolutionen stehen in allen Geschichtsbüchern.
Doch in der letzten Zeit hat es damit Schwierigkeiten gegeben. In einer globalisierten Welt ist es so schwer, Feinde “dort drüben” zu sehen. Es gibt irgendwie kein “dort drüben” mehr. Die Grenzen sind im Grunde gefallen. McDonald’s und Starbucks haben sich über den Globus ausgebreitet. In allen Ländern will man jetzt bei H&M einkaufen und Netflix schauen.
Wer auf diese Feindbilder setzt, der macht es sich zunehmend schwer, Veränderungen durch Angst zu erzeugen. Anders zu sein, ist in einer säkularen Wohlstandswelt immer weniger ein Problem.
Juden sind tabu als Feindbild. Kommunisten haben sich vom Feind zur Spottgestalt gewandelt. Muslime wurden zuletzt nochmal als Feind angeboten — aber irgendwie zieht das auch nicht mehr. Was nun?
Auch das “dort drüben” hat ausgedient. Die Mauer zwischen den feindlichen Lagern ist vor 30+ Jahren gefallen. Deshalb muss der Feind jetzt umso mehr “unter uns” sein. Damit hat man versucht, die Muslime nochmal zu aktivieren: als Terroristen, die immer und überall zuschlagen können.
Ja, da war etwas dran. Das ging in die richtige Richtung. Das war ein Schritt in Richtung moderne Angsterzeugung. Doch die Muslime konnten sich noch wehren und sie haben bei denen, die Angst haben sollten, auch Solidaritätsgefühle geweckt.
Ich denke, damit ist das Urteil klar: der postmoderne Feind kann kein Mensch mehr sein. Zumindest in pluralistischen Gesellschaft der 1. und 2. Welt gibt keine genügend große Basis mehr für ein menschliches Feindbild. Wo everything goes, da wird im Grunde jeder verstanden, egal, welche Forderungen m/w/d stellt.
Menschen gegen einen menschlichen Feind zu mobilisieren, wird immer schwieriger und auch teurer — auf beiden Seiten. Deshalb Drohnenkrieger, deshalb Selbstmordattentate. Der ROI ist da größer.
Letztlich sind aber auch diese Mittel der Angsterzeugung noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Da noch Menschen und/oder Werkzeuge benötigt werden, skalieren sie nicht wirklich.
Schon richtig, der bessere Feind ist ein unsichtbarer, der jederzeit überall zuschlagen kann. Jeder muss stets auf der Hut sein! Terroristen sind schon jetzt und meinen es persönlich — leider bleiben sie aber etwas abstrakt.
Doch jetzt Auftritt SARS-CoV-2!
Ein Virus! Ja, klar! Das hätte man nicht besser erfinden können! (Oder hat man es?) Der perfekte Feind!
SARS-CoV-2 ist imminent: Jetzt und überall kann es zuschlagen.
SARS-CoV-2 ist konkret: Erst Fieber, dann Beatmungsgerät, dann Tod. Das ist konkret und für jeden relevant.
SARS-CoV-2 ist persönlich: Das Virus wirkt bei allen gleich (naja, außer bei Multimorbiden mehr als bei Gesunden). Keiner kann sich diesem Feind entziehen. Insofern ist das Virus gerecht, unparteiisch. Reich, arm, berühmt, unbekannt, du, ich, Mutter, Vater, Kinder, Oma, Opa… alle, alle bedroht er.
Doch dazu kommen noch weitere Vorteile von SARS-CoV-2 als Feind!
Dieser Feind verändert sich ständig. Er kann insofern nicht einmal überwunden werden. Einmal erkannt, bleibt die Gefahr bestehen, solange es Viren gibt.
Dieser Feind ist unsichtbar. Er kann stets und überall lauern. Angstfrei kann man nicht mal im keinsten Kreis sein.
Dieser Feind ist perfide, weil er sich einschleicht. Er benutzt Menschen, er dreht sie um, ohne dass sie es merken. Eben noch gesund, ist die Freundin morgen eine Biowaffe, weil der Feind sie in der U-Bahn übernommen hat.
In der Filmreihe “Alien” hat man es schon vorausgeahnt. Der Feind wurde unsichtbar transportiert in Menschen. Dass ein Alien in ihnen heranwuchs, war ihnen zunächst nicht anzusehen. Und dann brach es auch ihnen heraus und hat die anderen verschlungen.
Der theatralischen Darstellung wegen, war das Alien allerdings noch gruselig in Szene gesetzt. Davon kann man bei SARS-CoV-2 absehen. Ein bunter Ball mit Stacheln reicht zur gelegentlichen Visualisierung aus. Alles weitere erledigen Bilder der (vermeintlichen) Effekte des ansonsten unsichtbaren Feindes. Wie wunderbar! Einen Kausalzusammenhang kann der Laie nicht feststellen. (Bonusvorteil: Jetzt sind erst recht Vermittler und Erklärer gefragt! Ohne Medien und Experten geht gar nichts mehr.)
Was SARS-CoV-2 nun aber endgültig zum besten Feind aller Zeiten macht, das ist der Mechanismus des Angsterhalts: Die Angst wird nämlich von jedem Einzelnen selbstständig aufrecht erhalten! Der Feind ist endlich in jedem Kopf installiert.
Wenn jeder dem anderen jederzeit wenn schon kein Wolf, dann aber eine Biowaffe sein kann, dann ist die Angst immer und überall. Jeder erhält sie in sich aufrecht. Es gibt ja kein Entkommen mehr. Wo Menschen sind, ist der Feind unter ihnen. Potenziell jedenfalls; man muss gar nicht mehr “in seinem Namen” zusammenkommen, wie noch bei einer Ideologie; Glauben ist unnötig. Also handelt man nach dem Motto: better safe than sorry. Auf allen Ebenen!
Perfekt!
Wer Angst als Antrieb braucht, um Veränderungen zu bewirken, hat mit SARS-CoV-2 den perfekten Feind gefunden. Das würde selbst George Orwell noch ein “Chapeau!” entlocken, glaube ich.
Und deshalb, weil diese Gelegenheit so günstig ist wie nie, glaube ich, dass sie auch genutzt wird. Von wem zu welchem Zweck? Ich weiß nicht. Aber sie wird genutzt. Sie wird auch grundsätzlich bestehen bleiben. Das ist die zentrale Veränderung dieser Zeit: die weltweit jederzeit abrufbare Angst mit der daran hängenden Bereitschaft zu Taten in ihrem Namen. In welche Richtung auch immer.
Und der Klimawandel? Leider kein Foto mehr für ihn. Sorry.