Der Bürger als Produkt
Impfzwang macht Sinn. Fragt sich nur im Rahmen welchen Weltbildes.
Impfzwang macht Sinn. Fragt sich nur im Rahmen welchen Weltbildes.
Ich nehme an, dass jeder erstmal frei sein möchte, alles mögliche, was ihm/ihr in den Sinn kommt, zu tun. Dabei gibt es ein natürliches Bedürfnis zum Selbstschutz.
Gleichzeitig möchte jeder natürlich nicht durch andere gefährdet sein. Deshalb tritt zum Selbstschutz die Forderung nach Fremdschutz.
Der ist zunächst auch ganz natürlich im wahrsten Sinn des Wortes: Menschen haben ein Gefühl für ein Mindestmaß an Rücksicht von Geburt an und/oder entwickeln es in den ersten Lebensjahren. Über Generationen sind daraus Moralvorstellungen geworden, die über Kulturen hinweg doch immer wieder einen gemeinsamen Kern haben:
Den Nächsten nicht verletzen,
schon gar nicht töten,
aber auch nicht bestehlen.
Das sind international anerkannte Gebote, die die Grundlage für nationale Gesetze sind.
Doch dabei ist es nicht geblieben. Je komplexer die Gesellschaften geworden sind, je größer der Abstand zwischen Menschen allgemein und Produzenten und Konsumenten im Besonderen, desto mehr wurde der Schutz geregelt.
Jeder darf heute mit sich selbst machen, was er/sie mag. Es gibt kein Gesetz, das zum Selbstschutz zwingt. Wer rauchen will mit allen Risiken, wer Freikletterer sein will mit allen Risiken, wer selbst Gardinen aufhängen will mit allen Risiken, wer selbst nur von Junk Food leben will mit allen Risiken, der darf das tun. Jeder darf sich sogar selbst das Leben nehmen.
Ob Selbstgefährdung verantwortungsvoll gegenüber anderen ist, sei dahingestellt. Selbstgefährdung ist deshalb aber nicht verboten.
Und was ist mit Arbeitsschutz? Ist das nicht ein Selbstschutz? Nein, beim Arbeitsschutz schützt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer. Arbeitsschutz ist Fremdschutz: die Arbeit soll den Arbeiter nicht gefährden. Die Motivation geht nicht vom Arbeitnehmer selbst aus.
Das ist ganz offensichtlich, wenn man Arbeitnehmer in anderen Ländern betrachtet. In Bulgarien, wo ich lebe, wird auf Baustellen regelmäßig kein Helm getragen. Ein Helm ist ja nicht teuer. Den kann sich auch der bulgarische Bauarbeiter leisten. Doch das tut er nicht; warum auch immer, er hat kein Interesse an Selbstschutz durch Helm. In Deutschland ist das anders — weil es dort Arbeitsschutzgesetze gibt, die auch noch durchgesetzt werden. Wenn dort ein Bauarbeiter einen Helm trägt, sagt das nichts darüber aus, ob er sich selbst schützen möchte.
Einzig die Gurtpflicht beim Autofahren scheint mir eine Ausnahme, soweit ich das überblicke. Die Gurtpflicht schützt nur den angeschnallten Autofahrer, sonst niemanden. Er wird wirklich zum Selbstschutz verpflichtet.
Auch wenn ich den Gurt beim Autofahren immer und auch gern anlege, halte ich die Gurtpflicht für falsch. Sie widerspricht der Grundhaltung einer freien Gesellschaft, die die Selbstgefährdung ganz offensichtlich ansonsten nicht begrenzt.
Dass Autos standardmäßig mit Gurt ausgestattet werden, kann von mir aus im Gesetz verankert sein. Damit wird es dem Anschnallwilligen leichter gemacht, sich in allen Fahrzeugen zu schützen. Jeden (Mit)Fahrer aber dazu zu zwingen, halte ich für falsch. Und es wird auch nur inkonsequent durchgesetzt: Busse im ÖPNV haben gewöhnlich keine Gurte für ihre Fahrgäste. Warum nicht? Kann ein Bus nicht in einen Unfall geraten oder auch nur stark bremsen müssen, so dass sich Fahrgäste verletzen können?
Aber einerlei. Die Frage ist: Warum Fremdschutz? Arbeitsschutz ist nur ein Beispiel dafür. Ein anderes ist Produkthaftung. Und dann gibt es auch noch den TÜV, der überprüft, ob Produkte/Dienstleistungen gefahrenfrei genutzt werden können. Es könnte sonst passieren, dass Anbieter Konsumenten Produkte anbieten, die Qualitätsmängel enthalten — weil das die Kosten reduziert — , durch die die Konsumenten unwissentlich gefährdet werden könnten. Ohne TÜV-zertifizierte Fahrgeschäfte wäre der Hamburger DOM eine traurige Veranstaltung.
Warum das? Weil der Staat daran interessiert ist, dass seine Bürger gesund bleiben und untereinander vertrauensvoll miteinander umgehen können.
Nur, wo es eine Produkthaftung gibt, wo ein Mindestmaß an Qualität gewährleistet ist, so dass zumindest Gefährdung ausgeschlossen, wenn schon kein Nutzen garantiert ist, können Bürger sich in Freiheit entfalten. Solange ständig Angst und Unsicherheit herrschen, findet Entwicklung nur langsam statt. Und Konsum ist zurückhaltend.
Gesetzliche Mindestqualität, Produkthaftung, Verbraucherschutz… das alles haben freie Bürger zu schätzen gelernt.
Selbstschutz wie jeder mag — Fremdschutz durch Produkte mit Mindestqualität ist hingegen Pflicht.
Und jetzt der Impfzwang. Wie passt der dazu?
Ob alle Bürger zu einer COVID-19 Impfung per Gesetz verpflichtet werden (Impfpflicht) oder man sie über Nötigung qua Verordnungen dorthin treibt, unterscheide ich hier nicht. Impfzwang herrscht, wenn ein normales Leben wie bis 2019 nicht ohne eine Impfung möglich ist.
Eigentlich ist eine Impfung eine Selbstschutzmaßnahme, auch die COVID-19 Impfung. Wer sich gefährdet fühlt durch ein Virus oder Bakterium, der lässt sich impfen. Viele tun das ohne Zögern, wenn sie z.B. ins ferne Ausland reisen. Hepatitis, Gelbfieber, Tollwut… das sind übliche Impfungen, die Reisende freiwillig nehmen. Ausnahme: In manchen Ländern sind Impfungen vor der Einreise Pflicht. Der Reisende kann der Reise jedoch entgehen, indem er/sie ein anderes Reiseziel wählt. Der Pflicht zu folgen, ist nicht nötig für ein normales Leben — auch wenn dadurch der Wunsch unerfüllt bleibt, ein Land zu besuchen.
Bei der COVID-19 Impfung soll das nun aber anders sein. Der Zwang erreicht alle. Ein Ausweichen ist nicht möglich. Dabei wird auch nicht mehr mit Selbstschutz argumentiert. Während es vor Verfügbarkeit der Impfstoffe noch hieß, die Pandemie sei vorbei, wenn allen ein Impfangebot gemacht werden könne, ist daraus nun eine Forderung geworden.
Ein Angebot kann ohne Nachteil in der Beziehung zum Anbieter abgelehnt werden; kommt man hingegen einer Forderung nicht nach, so ist mit unschönen Konsequenzen zu rechnen.
Der Impfzwang besteht in der Forderung, sich impfen zu lassen, um andere zu schützen. Fremdschutz ist die Motivation.
Wie kann das sein in einer Gesellschaft, die sich bisher doch als frei bezeichnet hat?
Ich sehe dafür nur eine Erklärung. Das macht für mich nur Sinn im Rahmen eines Weltbildes:
Der Staat sieht den Bürger als sein Produkt an.
Und weil der Bürger sein Produkt ist, will der Staat Haftungsfälle vermeiden. Deshalb will er den Bürger in höherer Qualität mit COVID-19 Immunität produzieren. Sozusagen ein “Bürgerproduktupgrade”.
Der Konsument des Bürgers ist einerseits der andere Bürger, andererseits aber auch der Staat. Denn der Bürger ist ja auch Steuerzahler — direkt oder indirekt. Durch ein Produkt mit weniger Gefährdungspotenzial für seine Konsumenten will der Staat dasselbe erzielen wie mit Produkthaftungsregeln, Gewährleistungsgesetzen usw. für andere Produkte. Die Konsumenten sollen geschützt werden, um sie zu leichterer und/oder vermehrter Konsumtion anzuregen.
Ich sehe also nicht Fürsorge als Antrieb für einen Impfzwang, sondern Haftungsangst. Nicht Bürger sollen vor sich geschützt werden, sondern der Staat vor den Bürgern.
Arbeitgeber und Hersteller schützen sich mit sicheren Produkten vor Arbeitnehmern und Konsumenten. Zu Schaden gekommene Arbeitnehmer und Konsumenten sind potenziell Kläger. Nicht umsonst haben die Pharmakonzerne sich der Haftung für die COVID-19 Impfstoffe vom Staat entheben lassen. Warum sollten sie das tun, wenn sie doch an die hohe Qualität und geringe Gefährlichkeit ihrer Produkte glauben? Sie wollen schlicht jedes Risiko ausschließen; sie können einfach nicht sicher sein, dass in den Impfstoffe nicht doch noch eine Gefährdung lauert.
Der Staat nun will ebenfalls das Gefährdungspotenzial seiner Bürger senken. Deshalb Impfzwang. Denn das Produkt des Staates — nicht nur offensichtlich bei Schulabgängern und Kindergeld geförderten Geburten — sind Bürger.
In diesem Weltbild macht Impfzwang Sinn. Wer diesem Weltbild anhängt, in dem er selbst Produkt ist, muss den Impfzwang befürworten.
Wo jedoch der Bürger Produkt ist, ist er Mittel. Produkte sind immer Mittel.
Mein Weltbild ist das nicht. Ich bevorzuge die Sicht, in der Bürger Zweck sind.